Vom schwierigen Versuch, an einen ermordeten Freund zu erinnern
Im von der Stadt Leipzig feierlich begangenen Jahr Zwanzig nach der „Wende” will eine private Initiative an den 1992 in Connewitz erschossenen Steffen „Thümi” Thüm erinnern, und stolpert dabei über manchen Knüppel zwischen den Beinen. Es gab nicht nur Gewinner der Wende, sondern wie „Thümi” auch Opfer dieser Zeit des Vakuums, die im „Sog der Freiheit” den Halt verloren. Der Mord an dem 21-jährigen Autonomensprecher sorgte damals für eine intensive Berichterstattung in den Medien.
Es war die Nacht vom 22. zum 23. Dezember 1992. Überall in Connewitz lebten alternative Jugendliche ihren ganz persönlichen Traum von der neu erworbenen Freiheit in besetzten Häusern aus. Das Viertel sollte noch zu DDR-Zeiten komplett abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Ganze Straßenzüge wie die Stöckartstraße standen leer. Dem Abriss kam die Wende zuvor; aufgrund der Wohnungsnot und mit dem Bestreben, unter sich sein zu wollen, besetzten linke Jugendliche die baufälligen Gemäuer und wurden somit Ziel von Überfällen rechtsradikaler Neonazis. Die noch nicht verbeamteten ehemaligen Volkspolizisten trauten sich oft nicht in das Viertel und somit mussten sich die Hausbesetzer selbst verteidigen. Der Begriff des Faschoalarms machte häufig die Runde: Wenn ein besetztes Haus angegriffen wurde, eilten andere Hausbesetzer herbei und halfen bei der Verteidigung. So auch in der Nacht vom 22. zum 23. Dezember, als ein Bewohner des besetzten Hauses Leopoldstraße 9 in die Kulturfabrik ZORO eilte und rief: „Die Leo wird angegriffen!”
Eine Handvoll Jugendlicher machte sich sofort auf den Weg und wollte helfen, kam aber nur bis zur nächsten Hausecke, denn die vermeintlichen Nazis begannen, mit scharfer Munition zu schießen – einer neuen, bisher ungekannten Qualität der Gewalt.
Die Hintergründe:
Es ging nicht um eine Abreibung für linke Andersdenkende, es ging um einen 51.000 DM teuren Mazda des Universitäts-Professoren Konrad Herrmann – und den Inhalt des Kofferraums… Bis heute wurde diese Spur nicht verfolgt. Der Verdacht, dass sich die Zuhälter rächen wollten, weil in jenem geklauten Auto Drogen versteckt waren und einer der Autodiebe sich daran bedient hatte, ist bis heute eine Vermutung. In den Gerichtsverhandlungen nach Steffen Thüms Tod war davon jedenfalls keine Rede. Aber Augenzeugen berichteten: Thüm hatte blonde Haare, wie jener bekannte kriminelle Jugendliche, der den Mazda gestohlen hatte. In dieser Nacht trug Thüm ein weißes T-Shirt, wie auch der Autodieb. Es liegt nahe, dass die Zuhälter in die Leopoldstraße 9 kamen, um sich am Drogendieb zu rächen. Thüm wurde demnach das Opfer einer Verwechslung.
Was aber hat der Universitätsprofessor mit dem Mord zu tun? Die Antwort: Zwar wurde Herrmann als Bauernopfer für 10 Jahre hinter Gitter gesteckt (unter Tränen beteuerte er seine Unschuld im Gerichtssaal), der vermeintliche Schütze aber, sein damaliger Schwiegersohn Gregor P., der als Türsteher im Rotlichtmilieu arbeitete und an scharfe Waffen heran kam, wurde entlastet und kam mit einer geringen Strafe davon.
Warum ging das Gericht nicht dem Motiv des Schützen auf den Grund, dass es sich nicht um einen (bereits am 21. Dezember unversehrt zurück erhaltenen) Mazda sondern möglicherweise um Drogen ging? Wollte da ein Beamter von eigenen Verstrickungen in die Drogen- und Prostitutionsszene ablenken? Warum kamen die bewaffneten Türsteher zurück in die Leopoldstraße, obwohl sie am Tag zuvor das Auto zurück bekommen hatten? Was wollten sie erneut beim Autodieb? Die Sache war doch schon gelaufen. Den Autoknacker kann man nicht mehr fragen, er wurde aus dem Viertel verbannt.
Den Tod Steffen Thüms kann das nicht rückgängig machen, er verstarb noch in den Morgenstunden des 23. Dezembers 1992 im St. Elisabeth Krankenhaus an seinen inneren Verletzungen. Unglücklicherweise war kein Gefäßchirurg aufzutreiben.
Doch die Geschichte um Thümi geht weiter…